Dienstag, 9. September 2014

une barbe à papa.



Die heutige Hitze, die feuerspuckend eine Glut in meinem Zimmer entfachte, hat vor einer Stunde den Rücktritt angekündigt. Ich sitze hier, in dem kaputten blauen Sessel, im vollgekleckerten blauen Kleid und lasse die frische Brise an die Füße ziehen. Birdy läuft und ihre Stimme macht mich schwankend; sie klingt nach In den Himmel starren. Gedankenverloren. Ziellos. Antriebslos.

 Da konnte ich die letzte Woche kaum erwarten: Schlaf nachholen, Frauenkram machen, einen banalen Film sehen, lesen, nach Paris fahren, schwelgen und schlemmen, da war sie auch schon wieder vorbei. Ruhig ging es zu. Doch, währenddessen ich dem Kopf verbot schreckliche Herbstaussichten zu schaffen, stand auf Postkarten, in E-Mails und im Raum: "Und, hast du schon etwas gefunden?". Mein Selbst strömte daraufhin ein "Puh, lasst mir Zeit zum Durchatmen, bitte!". Doch, die moralischen Wortgeister schaffen es seit ein paar Tagen sich einen Weg in den Kopf zu graben. Zudem kommt die "rentrée", der Schulanfang, der sich in Frankreich als fünfte Jahreszeit entpuppt: Bücher, Schule, Universität, Mode, Politik - alles ändert sich im Herbst und startet einen Neuanfang. Letzten Mittwoch war also die berühmt berüchtigte "rentrée" und gegenüber von der Arbeit trafen sich die sonnengebräunten Schüler, um anziehend, wenn doch leider laut und tolpatschig, vor ihren Mitschülern, Kaugummi zu kauen...Straßburg verwandelt sich in eine Unistadt, Wohnungssuche, Fahrrad-Flohmarkt, reduzierte Lehrbücher und Schreibhefte. Dieses Mal soll ich nicht dazu gehören. Ich warte nur noch auf mein Damoklesschwert, welches nächste Woche über mich Gericht halten wird. Und dann? Wie kann man nicht ungeduldig werden, sich die Haare durcheinander kratzen und gedankenverloren in den Himmel starren? Wie laut aussprechen, wovor man Angst hat, wenn erst am Wochenende das Versprechen gegeben wurde, sich nicht mehr so sehr zu stressen und in Panik zu fallen. Aber was denn sonst? Da saß ich heute und schickte die Stellenanzeige für meine Nachfolgerin heraus... Die Wochen haben sich dem Countdown verschrieben (und dabei kann ich Countdowns, Abzählreime und sonstiges dieser Art nicht leiden).

 Ist es möglich, sich keine Illusionen zu machen und trotzdem träumen zu dürfen, oder ist das ein absoluter Widerspruch? Seit ein paar Wochen, der Himmel weiß warum, sehe ich mir gerne alte X-Factor - Videos auf youtube an und werde jedesmal von dem Glück gepackt, das die wagemutigen Kandidaten erleben. Dabei habe ich mir nie solche Sendungen angesehen und war an ihrer Existenz auch nicht interessiert, genau so wenig wie an Kaugummi. Solche Sendungen ziehen sich in die Länge, werden fade und alle warten immer nur auf einen Knall. Bäh! Was ist es also dann? Geht es um das Wissen über die Möglichkeiten, die jeder hat, wenn er sich nur traut? Darüber, dass wir manchmal gar nicht wissen, wo unsere Kompetenzen liegen? Treten wir jedesmal einer Jury entgegen? Brauchen wir eine Art Bewertung, um ein Talent an uns zu schätzen? Und, warum unterliege ich dieser Suche, wenn ich doch Freunden und Familienmitgliedern immer wieder dazu abrate? Wie viel Applaus braucht man, um keine Zukunftsangst zu haben? Könnte ich nur Pirat sein (ich meine den Fluch der Karibik, Tom Sawyer - Abenteurer)! Hat meine Zuckergusswelt demnächst ein Ende und verwandelt sich zu frustriertem Hüftspeck? Kann ich sie nur noch durch eine Glasscheibe bestaunen? Wird es Zeit, die Luftballons loszulassen, grüne Absatzschuhe gegen schwarze einzutauschen, die kurzen Kleider in Kisten zu verstauen und dafür ein Kostüm in den Schrank zu hängen?





















 Ist mein Träumen, Applaudieren und herumtänzeln nur noch im Publikum eines Theaters und bei mir zu Hause möglich? Letzten Samstag, beim Festival Ile de France, bestaunte ich Männer in glitzernden Frauenkleidern, wie Olivier Py und die Tiger Lillies (vor dessen Frontsänger ich eine wahnsinnige Angst hatte ... Clown...) und dachte zeitweise, dass es wie in einer Filmversion Oliver Twists oder Fritz Langs zu ging; so als würden die bösen Trunkbolde und verqueren Gesichter aus einer dunklen Gasse hervorspringen und ihre Schaudergeschichten erzählen. Dies brachte mich so durcheinander, dass ich mich auf dem Nachhauseweg glatt verlief. Paris schien aufeinmal so groß, laut, wollte nicht gehorchen. Nichts war mehr an seinem Platz, doch dadurch kam ich an Stellen, die schräge Erinnerungen hervorriefen. An die ersten Jahre. An all die Veränderungen und Entdeckungen und Küsse und Motorradfahrten nachts durch die Straßen...

Es war ein turbulenter Frühling. Es war ein
stressiger Sommer. Es ist ein Herbst ohne
Zuckertüte.








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