Es ist ein guter
Tag. Die Wohnungstür ging heute zeitig auf; Tee wurde gekocht. Der Kopf und die
Augen sehnen sich ein wenig nach Waldluft und Ruhe; das Herz freut sich auf das Wochenende; die Ohren singen immer
noch peinliche Lieder aus den 90ern (wieso haben wir heute Mittag nur über die
schlimmsten Hits aus dieser Zeit gesprochen?!). Ja, ein guter Tag.Die Liste von den
zu berichtenden Dingen liegt neben mir, neben der Teetasse und einer Tonne an
Dokumenten, die heute Abend zu Wort kommen wollen. Deswegen nicht trödeln,
keine Kaffeebohnenschritte machen, sondern loslegen!
1. Freundin,
Verliebte des Theaters genoss ich das vor zwei Wochen stattfindende Festival Premières in Strasbourg. Junge
Regisseure und Schauspieler durften zu Wort und Gestik kommen und uns, also das
Publikum, im wahrsten Sinne des Wortes, mitreißen. Zwei Stücke durfte bzw
konnte ich sehen. Zum einen „Amatorki“ im Théâtre National de Strasbourg. Ein
polnisches Stück, voll von Hoffnung, Naivität und Brutalität. Akrobatisch in
der Ausführung, herzerweichend. Die Gradwanderung zwischen Ironie, Satire und
Tragik war fantastisch gezogen. Am Ende kam ich heraus und fragte mich, wie
solche vorhersehbare Hoffnungslosigkeit mich zum Lachen bringen konnte. Der Gedanke
an die perfekte Liebe, ein gemütliches Zuhause und Mitgefühl – ja, kann man
diese drei Dinge einfach so haben? Oder ist es so wie in dem Lied von Lassie
Singers „Warum nette Mädchen niemals glücklich werden“ oder in Funny van
Dannen’s „Herzscheisse“ ? Du weisst, dass du es lassen solltest, bevor sich
deine Gefühle in Luft auflösen und du nur noch wie Undine dahin schwebst, aber
du kannst nicht anders. Irgendetwas lässt dich immer weiter in die Schlucht
hineinrennen. Zeigt Amatorki, dass Glück eine Form von Glaube ist?
Was ist dann aber mit dem zweiten Stück, „Dehors“ (belgische Inszenierung),
welches von Obdachlosen in der Gesellschaft handelt? Eine Mischung aus fester
Inszenierung und Improvisation. Dynamisch, laut, durcheinander. Sei bereit zu
folgen. Sei bereit innerhalb von zwei Stunden viele moralische Fragen, die die
Schwere eines 5-Gänge-Menüs haben, zu beantworten, auseinanderzunehmen und zu
verdauen. Nein, zum letzteren blieb keine Zeit ! Du weißt keine Antwort? Du
sagst etwas und bereust es dann, tja, mein Freund, das war es für dich. Jetzt
bist du der kaltherzige Misanthrope. Moralische Schwere, die wir beim Anblick
von Obdachlosen empfinden, Ekel, weil wir auch keinen Ausweg wissen und Scham,
weil wir dann doch nichts tun. Am Ende gab es keine Lösung, keinen Vorschlag.
Sieh zu, wie du damit fertig wirst!
Alles in allem war es ein radikales Festival. Keine Grenze zwischen
Zuschauer und Schauspieler; es folgte eher einem „mach mit und lerne“. Theater
wird immer schneller, immer lauter, immer intimer, immer aggressiver. Weil es
so ist? Weil niemand mehr Luftballons gen Himmel schickt?
2.
Ich
habe mich letzte Woche in mehreren E-Mails über die FN und Godard’s Aussagen zu
diesem Verein ausgelassen. Dem großen Künstler ist also so fade, dass er meint
die FN als Premierminister könnte das Land dynamischer machen. Sicherlich, es
käme wahrscheinlich zu einer Welle an gezwungenen und freiwilligen
Auswanderungen. Ist denn demokratisches Denken nur durch krasse Mittel wieder
aufzuwecken? Ich frage mich ja immer, was in den Gehirnen solcher Wähler
vorgeht. Woran liegt es? Und wie kommt es, dass auch Ausländer diesen Club
wählen? In der Zeile verrutscht? Die Brille zuhause vergessen? Nein, es gibt
dafür keine Entschuldigung. Und wenn ich auch für die Filme Godards Respekt
habe und den Chapeau ziehe, wird es wohl zukünftig zu einem Prinzip des
Boykotts seine Werke nicht mehr zu beachten. Das wäre dann schon der dritte
Regisseur innerhalb eines Jahres, der mir den Buckel runterrutschen kann. Jeder
darf seine Meinung haben, darf sie laut sagen, aber sollte dann auch mit den
Konsequenzen rechnen. Und es gibt Gedanken, die bringen dermaßen die Wände zum
Wackeln, das mein Herz laut auf quietscht und Rebellion! brüllt.
3.
Es
ist wieder warm. So sehr, dass ich, bizarrer Weise, das Teetrinken erhöht habe.
Lecker duftende Sorten stehen in hübschen Metalldosen im Küchenregal und leeren
sich in einer Geschwindigkeit, die eigentlich Kundenkarten im Teeparadis
verdienen. Immer noch voran der Kusmi-Tee
Detox, der nach Blutorange schmeckt, doch habe ich auch einen Lov Organic – Tee angefangen, der mich
abends mit zimtigen Charme in die letzten Stunden des Tages schaukelt. Dabei
mag ich keinen Früchtetee (nur wenn er von einer sehr lieben Freundin in
Porzellantassen gegossen und angeboten wird). Aber das absolute Tee-Muss ist
eiskalter Pfefferminztee. Literweise wird dieser abends, während des Suchens
nach tiefgründigen Worten, weggetrunken. Das erfrischt Herz und tut dem Kopf
gut.
Sollte dies nun
erst einmal reichen? Es war noch die Fête
de la Musique, die ich bei einem herrlichen Ball aus dem Jahre 1900 – 1930
verbrachte. Wunderbare Kleider, noch wunderbarere Hüte und galante Herren in
Anzügen. Polka, Walser, haste nicht gesehen und das alles bei 30 Grad im
Schatten. Ich stand daneben, wackelte hin-und her und tanzte Tango mit meinem
Fotoapparat.
Nun, das war ein
kleiner Rundblick. Ich genieße jeden Morgen den Weg zur Arbeit, vorbei am Théâtre National de Strasbourg und an
der Opéra national du Rhin. Ich kann
gar nicht genug von den Märkten jeden Mittwoch und Freitag bekommen, bei denen
meine Lust Blumen zu besorgen ins Unermessliche steigt. Und dann, wenn ich am Trolleybus vorbeikomme, spult das
Kopfkino zu diesem einmaligen Abend vor ein paar Wochen zurück: es war fast
Mitternacht, die Hitze des Tages ruhte auf den Steinen, er und ich hielten uns
ganz fest und ließen den Lärm um uns herum lärmend sein. Nur er und ich, etwas
schäumendes Kaltes in riesigen Gläsern und Strasbourg.