Berlin: Fußball und 2,60
€ für die S-Bahn. Und die Spree.
Die Zugfahrt begann
lauwarm und ohne Tränen (da viel zu zeitiges Aufstehen Emotionen
verbietet). Die Obermieterin schaute am Abend zuvor politische Reden
im Fernsehen an und man sollte meinen, dass solche beim Einschlafen
helfen. Nichts da; monoton gehaltene Reden haben mich bis weit nach
Mitternacht wachgehalten. Und als ich dachte gerade fest
eingeschlafen zu sein, tirilierte der Wecker.
Nun bin ich ja wie ein
kleines Kind, was mein Fahrtverhalten angeht. Der Hunger kommt,
sobald die Türen zugehen, die Sitzposition wird alle fünf Minuten
geändert, die Unruhe spielt mit mir Tischtennis und ich schlafe kurz
vor dem Ziel ein. Bei Laune hielten mich die Kleingärtner und
sonstige Aktivitäten, wie ein Mann, der um zehn Uhr morgens am
Bahnhof in Kaiserslautern Kniebeugen machte. Warum auch immer in die
erste Klasse verfrachtet, sank ich in den tiefen Ledersesseln ein und
wurde vom Kampf zwischen Heizung und Klimaanlage ganz dösig. Im
Abteil saß niemand unterhaltsames, nur ein Bild lesender Zweibeiner
(und in solchen Fällen halte ich lieber fünf Stunden den Mund als
ein Gespräch anzufangen). Um mich anderweitig zu beschäftigen,
träumte ich, durch den Hörspielsender der Deutschen Bahn, so vor
mich hin und lies mir Kurzgeschichten von einem alten Kater,
Tucholsky oder Amos Oz erzählen. Dazwischen ein wenig italienische
Musika, die mich an den letzten Sommer denken ließen.
Als der Zug in Berlin
einfuhr, überraschte mich ein Plakat mit der Aufschrift „Fußball
ist Deutschlands Zukunft“. Ach so? Na, wenigstens etwas. Das
S-Bahn-Geräusch erinnert teilweise an die Sirene einer Feuerwehr. Ob
das hilfreich ist? Beim Straßenüberqueren bin ich gehorsam bei grün
losgelaufen, auch als ich dreimal in die falsche Richtung gerannt bin
(um die Adresse meiner Unterkunft zu finden).
Endlich bei meiner lieben
Gastgeberin angekommen, verbrachte ich ein paar Stunden auf einer
Terrasse mit Café, der Sonne im Rücken und resümierenden
Gesprächen. Es ist nicht einfach zwei Jahre in einen Nachmittag zu
packen, vor allem wenn die Worte nicht so fließen wollen. Sorgen
trotz Frühling; Versuch aufbauender Worte, Hatschi in der Nase.
Und nun, Kräfte sammeln
und schlafen gehen. Soll er auch.
Olle Stulle.
Die ersten zwei Tage sind
wie im Winde verflogen; an die Bahngleise und deren Betrieb in der
Nacht habe ich mich nun gewöhnt. Den nächsten Morgen verbrachte ich
mit Sonne, der Spree, ein wenig Spazierengehen. U-Bahn oder S-Bahn
fahren in Berlin ist ja wie eine kleine Weltreise anzutreten. Man hat
das Gefühl einmal den Stadtkreis entlangzufahren, dabei handelt es
sich oftmals nur um eine Station. Geduld ist also unter- bzw.
oberirdisch gefragt. Nun, am Hauptbahnhof ein paar Dinge erledigt und
mich gefragt, ob gewisse Funktionäre eines bestimmten Betriebes auch
einmal lächeln. Wie sehen wohl deren Vorstellungsgespräche aus?
A: Lächeln Sie gerne?
B: Glauben Sie, ich hätte
diese Falten von so etwas banalem wie lachen?
A: In Ordnung. Wenn Sie
sich nun bitte diesen Film mit Charlie Chaplin ansehen möchten!
B: Charlie Chaplin? Ja,
sagen Sie mal, wirke ich etwa auf Sie wie ein Mensch, der gerne
Kordhosen trägt und Witze reißt?
A: Herzlich willkommen in
unserem Verein! Sie haben nicht nur den Posten, sondern ebenfalls
eine Beförderung!
B: Halten Sie ihre Freude
im Rahmen junger Mann, sonst muss ich diesen Fauxpas melden!
In einer Ausstellung
hängengeblieben. Es ging um den Alltag in der DDR und am
Grenzbahnhof in der Friedrichstraße. Viele Besucher, Schulklassen,
die gefragt worden: „Wer weiß, was die Stasi ist?“. Vor den
Filmausschnitten standen ein paar Leute: „Na sieh ma an, der Kohl
is och da druff!“ Geballt, gebannt, Spiel der Emotionen und die
Frage nach Ideologie. Gibt es noch eine und wenn ja, welche? Wofür
würde eine große Anzahl an Menschen noch zusammen auf die Straßen
gehen? Was sind gemeinsame Ziele? Wofür würden wir Haut und Haare
riskieren? In einer Gesellschaft, in der alles immer dynamischer,
kleiner, mechanischer, materieller und anonymer wird, gibt es da noch
Themen oder Dinge, die unser Engagement entflammen oder uns
einschränken? Sollten wir uns vielleicht einmal die Fragen „Wo
soll das alles hinführen und wann wird eine gewisse Sättigung
eintreffen?“ stellen? Was halten unsere Nachbarn davon? Und damit
meine ich nicht die Europäischen, sondern jene die mit uns im Haus
wohnen. Wofür würden sie ihre Tür öffnen?
Irgendwann kam ich
tatsächlich in der Bibliothek an und verweilte dort ein wenig, um
Studentenluft zu schnuppern und in dem Ameisenhaufen geschäftig zu
tun. Doch die Medizinstudentinnen neben mir unterhielten sich so
angeregt über Taubheit und Hörgeräte, Knochen kaputt machen und
Muschelohren, das ich mich nur schwer auf Walter Benjamin und Co.
konzentrieren konnte.
Am Abend ein Spargelessen.
Frühlingshaft, doch die Knospen sprossen fröhlicher, der Wein war
leichter als das Fließen der Gespräche.
Arbeitsreich ging es auch
heute zu. Motiviert und vom schlechten Wetter eingeladen, zog es mich
wieder in die Bibliothek. Und das tat gut.
Nun, beruhigt sich der
Bauch vom leckeren italienischem Essen und dem Gekichere der soeben
verbrachten Stunden.
Nur eine Frage, bevor ich
die Augen zu mache: Muss Pannacotta die Konsistenz von Flan haben?
Und so flogen die Wochen
dahin. Siehe da, sie scheinen schon über den sieben Bergen zu sein.
Seit gestern wieder im geliebten Paris. Die Tagebuch-Versuche
scheiterten aufgrund des Wirbelns, Quatschens und dem anderen
Tralala. Dabei machte es als jugendlicher Mensch Spaß und brachte
eine gewisse Verantwortung mit sich die Tage zu resümieren.
Versuchen wir es also; nicht jeden einzelnen Tag, aber im Rückblick
sich die Frage stellend: was waren die markanten Punkte Berlins?
Berlin scheint mir nur
unter der Sonne schön. Ich verstehe den Reiz, den Gedanken der
kreativen Offenheit und des Hin- und Herspringens. Die Stadt scheint
schnelllebig, dynamisch, turbulent. Etwas, das den einen Tag
aufmacht, ist in der nächsten Woche schon Schnee von gestern. It's
always the same – scheint nicht auf Berlin zuzutreffen. Und dann
unter blauem Himmel an der Spree über Flohmärkte wandelnd, summen
die Lippen Gitarrenklänge. Doch. Ja, ein doch. Es machte den
Eindruck, als sei Berlin wie eine Pubertätskrise. Es wird viel
ausprobiert. Die Läden sind klein und kreativ. Es wird viel an
Stilen gemischt (sei es nun die Kleidung oder die Dekoration).
Bibliotheken bestehen aus alten Schinken und grellen Lampen. Berliner
Schnauzen machen einen auf retrochic in Neonfarben. Das Theater ist
laut, aggressiv, expressiv, krass. Auf der Suche nach ...? Ja, was
suchen die Berliner und alle Zugezogenen? Sich selbst? Eine „Wann
wird mich jemand verstehen?“ - Person? Es herrscht eine eigenartige
Stimmung in den Berliner Straßen. Einerseits sind alle janz dufte
und locker, andererseits „Kicken bevor de über da Straße jehst!“
- Hektik. Störe nicht meine Individualität und mein innerliches
Musendasein. Inspiration, Inspiration!
Theater in Berlin. Warum
so laut? Warum so schockieren? Glaubt denn Monsieur / Madame das die
Botschaft in Normallautstärke nicht ankommt oder haben Pariser
Bühnen mich zu sehr beeinflusst? Aktuelle Themen, Angst, Nervosität,
Tanz, Krach, Haut, vulgär – für zwei Stunden war dies zu viel. Zu
erschreckend, zu nah. Der Kopf war erschüttert, die Augen starrten
vor Angst, das Herz, na das, ließ Glück und Bewusstsein wie Honig
dahin fließen. Applaus. Wie war es nun? Unbeschreiblich. Bizarr.
Lautes Publikum.
Unhöflich. Jeder will der Erste sein. Gequatsche. Zischen
meinerseits. Psscht! Da wird gesungen!
Ja, Berlin. Es ist doch
so: Paris ist die Liebe meines Lebens; Wien ein heimlicher Verehrer
und du, nun, du bist der Kumpel mit dem ich einmal im Jahr Café
trinke und dann wieder genug von ihm habe. Vielleicht passt du mir
nur nicht, weil du keinen Halt zu geben scheinst. Wir sind beide auf
der Suche und bauen an uns herum, verändern, sehen ein, werden groß.
Doch kannst du mir keine Stabilität geben. Nicht wie Paris.
Geliebtes.
Wirre Gedanken. Ein
Gartenverein namens Hanfröste. Gemurmel. Geschnattere. Schokoladiges
Ostern. Immer mehr verliebt. Getraut. Anvertraut. Gesehen. Gelacht.
Ausgenutzt. Gedacht, gedacht, gedacht. Gelesen. Was für ein April!
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